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„Jokili-Bluat in mini Odärä“

Dr. Franz-Josef Vollherbst

Ausnahmezustand in der Colonia Tovar: „Jokilis mache“ im November.
Dr. Franz-Josef Vollherbst, Oberzunftmeister der Endinger Narrenzunft 1782, war dabei und berichtet von seinem einmaligen Erlebnis.

„Mit däne Gleckli / un mit dr Soiblodärä / vu jetz äwäg / rännt Jokili-Bluat in mini Odärä“ - Zeremonienmeister Julio Carillo sprach’s vor, ich sprach’s nach und wurde mit einem kräftigen Guss Tovarer Jokiligeistes über mein schütteres Haupt zum „Jokili de Honor“ der Tovarer Narrenzunft ernannt. Geschehen zu Tovar an Martini 2007 - Nachts um 11 Uhr 11 - im Rahmen der „Jokili-Daifi“ auf der Plaza Municipal. Alljährlich zu diesem Termin werden die Tovarer Jokili getauft. Auch 2007 wieder etwa zehn an der Zahl. Diesmal in ganz großem Rahmen. Unter freiem Himmel mitten im Dorf. Dort wo früher die Alcaldia war. Gegenüber eine große Ehrentribüne, besetzt bis auf den letzten Platz - inklusive der „Sym-Badischen Alphornbläser“. Und daneben auf der Straße Hunderte Tovarer und internationale Gäste aus ganz Lateinamerika.

Ja, aus ganz Lateinamerika. Denn Tovar war Tagungsort für den 5. Kongress der Deutschen Siedlungen in Lateinamerika (V. Congreso de Comunidades Alemanas en América Latina / CAAL), der vom 6. bis 12. November 2007 in Colonia Tovar stattfand.
Bürgermeister, Referenten und kulturelle Gruppen aus Argentinien, Brasilien, Chile, Paraguay, Peru und weiteren süd- und mittelamerikanischen Ländern trafen sich in Venezuelas Deutschkolonie zum kulturellen Austausch, zu interessanten Vorträgen in Tovars neuem, beeindruckendem Tagungszentrum und zahlreichen Brauchtumsvorführungen.

„Claro“ - dass sich „unsere“ Kolonie von ihrer besten Seite zeigte. Und im kulturellen Bereich gehören die Tovarer Jokili zum Besten. In ihrer Einmaligkeit auf dem südamerikanischen Kontinent sind die inzwischen rund 150 Jokili nicht nur touristische Attraktion zur Fasnetszeit. Die Tovarer Narrenzunft und ihre Jokili verkörpern Herkunft, Tradition und kulturelles Selbstbewusstsein in beeindruckender Weise. So entschieden sich die Verantwortlichen, die Jokili „üsnahmswies“ außerhalb der Fasnet auftreten zu lassen und ihren internationalen Gästen nicht vorzuenthalten. Und das wollte ich mir möglichst nicht entgehen lassen, denn an Fasnet hält es mich halt daheim in Endingen, wo der Jokili herkommt. Zudem konnte ich die Einladung der Tovarer Jokili nicht abschlagen. Also machte ich mich für eine Woche auf zum Gegenbesuch noch im Narrenfest-Jahr.

Weil es eine absolute Ausnahme war, dass der Jokili im November in Tovar auftritt, musste natürlich auch ein spezieller Auftakt - eine besondere „Zeremonie“ ausgedacht werden. Kurzum die ausgedachte „Story“: Dem Jokili hatte es beim Narrenfest 2007 in Endingen so gefallen, dass er dort blieb. Der Endinger Oberzunftmeister brachte ihn im Koffer zurück. Ein Riesenspektakel am Vorabend des großen Festumzugs, den die Tovarer zum Internationalen Kongress veranstalteten. Eine große Menschenmenge in Tovars Zentrum. Auf der großen Bühne der Tovarer Zunftrat (in Zivil). Stimmungsmusik - vom „Zillertaler“ bis Fasnachts-Party-Hits aus der „alten Heimat“ - von CD über „Laut“-sprecher, die die Stimmung unüberhörbar bis zum entferntesten Haus der Kolonie übertrugen. Dazu der unübertreffliche Zeremonienmeister Julio über Mikrofon mit der Ankündigung und Aufforderung zum „Jokili kumm“ - was aus spanisch geübten Kehlköpfen leicht anders klingt als am Schmutzige Dunnschtig auf dem Endinger Marktplatz. Aber es hatte Erfolg. Auf einem der ältesten und originellsten „Jeep-Karä“, der aufzutreiben war, kam Oberjokili Jaime angefahren - zunächst noch müde „von der langen Reise“, schnell aber in temperamentvoller Laune auf der Bühne, weitere Jokili kamen dazu und eröffneten mit dem „Baile del Jokili“, dem Jokilitanz nach Tovarer Art, die Festtage. Schon ergreifend - so 10.000 Kilometer weg von zuhause. Die Nacht wurde sehr lang.
Prächtiges Festwetter am nächsten Tag zum großen Umzug durch die Kolonie. Gut zwei Stunden Genuss fürs „Tovarerherz“. Trachtengruppen aus den Gastländern, die Tovarer Familien mit den Ortswappen der Herkunftsorte: Aus Herbolzheim die Guts und Strubingers, aus Wasenweiler die Rudmanns, aus Oberbergen die Gerigs, hinter dem Wyhler Ortswappen die Dürrs und Müssles, die Fehrs aus Münchweier, die Kanzlers aus Ettenheim und Familie Ruh aus Endingen - Jung und Alt im Festtagskleid oder in historischer Aufmachung - mit Tanzgruppen und herrlich geschmückten Festwagen.

„Plattln“ der Tiroler aus Pozuzo/Peru, graziöses Lächeln junger Frauen mit unverkennbarer Indio-Physiognomie im Dirndl tanzend, die „Grossili“ im „Tschobä-Rock“ schwofend zUnd dann die Tovarer Jokili. Angeführt von einem fahrenden Riesen-Jokilischuh, die große Schar der Tovarer Jokili mit viel „Narre-Somä“ und den stattlichen Zunftmeistern „im Großen Ornat“. Die größte aller Umzugs-Gruppen und die lebhafteste: Der Drehzahlmesser schlägt beim „hopsen“ merklich höher aus als hier bei uns. Subtropisches Temperament eben. Lauter Jokili um mich herum. Irgendwie gehör ich dazu mit meiner Zunftmeister-Jokilikappe, unter der die äquatornahe Tovarer Sonne ungewohnte Temperaturen erzeugt. Wo bin ich? - Meine Gedanken schweifen – zurück ins Jahr 1974, als ich mit meinem Vater die Colonia Tovar zum ersten Mal besuchte. „Jokili isch in Brunna kejt, hab-ä herä plumpsä...“ – noch klingts mir in den Ohren. Wie damals (= domols – eigentlig miasst-i des ganze jo sowieso uf Kaiserstiahlerisch schriebä...) – ja, wie damals, als mein Vater die Alten fragte nach der Fasnet und dem Jokili, trat eineinhalb Jahrhunderte konserviert zutage: „Jokili wu bisch geschtert gsi...“
(Geschtert – hit? Des „Geschtert“ verbindet gherig – bis hit!)
Umarmung, einhaken, mithopsen. „Narri-Narro“ - auf „Tovarerisch“ eigentlich mindestens mit drei r (also Narrri - Narrrro) - „d’Tovarer Jokili sin do“ - „Respekt vor uns - Jokili“. „Muchas gracias - scheen isch-es gsi bi Ejch in Endingen - mir dänke allewil do dra“. Tausende Jokilischellen klingen - „Soiblodärä“ kreisen unter dem Blauen Tovarer Himmel. (Ä Blick dert nuf – Dankscheen!)

Tovar: Wirklig ä Stick Heimet.
Scheen ischs gsi - wunderscheen! u Ziha-Musik...